Bericht von unserem Aufenthalt in Swasiland April/Mai 2016

Bericht von unserem Aufenthalt in Swasiland April/Mai 2016

 Reisebereicht Swasiland Mai 2016

Im April und Mai 2016 waren wir (Kirsten Boie und Gerhard Grotz) in Swasiland für unser Hilfsprojekt LISTEMBA Swasiland unterwegs – wieder also, wie schon im vergangenen Jahr, im Spätherbst auf der Südhalbkugel.

Herbst – das Winterprogramm

Tatsächlich ähnelte das Wetter während der gesamten Zeit wieder dem, was wir in Deutschland vom November kennen, so dass wir jetzt endgültig wissen: So ist der Herbst in Swasiland regelmäßig – grau, niedrige Temperaturen (an einem besonders kalten Tag zeigte des Autothermometer im Bergland nur 5°) und z.T. auch Regen. Ein Regen übrigens, den das Land in den Monaten davor dringend gebraucht hätte, der jetzt aber für die Landwirtschaft zu spät kam. – Uns hat diese Kälte-Erfahrung darin bestärkt, wie schon in den vergangenen beiden Jahren wieder Winterkleidung für ca. 400 Kinder an der Neighbourhood Carepoints anzuschaffen. Vor allem in den Hütten ohne Heizung muss es in diesen Monaten auf den Schlafmatten aus Stroh nachts unvorstellbar kalt sein. Welile Simelane, in unserem Büro in Mbabane für den Bildungsbereich zuständig, ist gerade dabei, im Land Kostenvoranschläge einzuholen.

Die Dürre – Probleme bei der Ernährung der Kinder

Schon auf der Fahrt vom Flughafen Johannesburg nach Swasiland waren wir erschrocken über die verdorrten Maisfelder überall – die letzte Ernte ist aufgrund der Dürre der letzten beiden Jahre fast vollständig ausgefallen, auch zigtausende Rinder sind verhungert und verdurstet. Die Rinder (sehr viel weniger als sonst!), die wir in diesem Jahr auf den Feldern gesehen haben, waren vollkommen abgemagert. – Ergebnis mehrerer Gespräche mit unserem Managing Director Tihlobetakhe Zulu: Er geht davon aus, dass die Versorgungssituation an den NCPs (Neigbourhood Carepoints)  im Verlauf des Jahres zunehmend dramatischer werden wird.  Das zeigte sich schon auf unserer Reise: Nur an einem der von uns besuchten NCPs gab es noch zwei Säcke Maismehl, an allen anderen erklärten die Ehrenamtlichen, sie brächten Essen und Wasser für die Kinder von Zuhause mit und hielten auch die Kinder dazu an, mitzubringen und zu teilen, was sie hätten. Aber wie lange kann das gut gehen? Zwei Tage vor unserer Abreise haben wir erfahren, dass das World Food Program (das Nothilfeprogramm der Vereinten Nationen) unsere NCPs mit Maismehl für einen weiteren Monat versorgen wird. Aber danach? Im gesamten südlichen und südöstlichen Afrika ist die Situation ja ähnlich. Es kann gar nicht genug Maismehl für alle geben. Wir gehen davon aus, dass wir spätestens gegen Ende des Jahres werden einspringen müssen – bei über 5000 Kindern keine Kleinigkeit, für die die Mittel in unserem Budget vorsorglich bereitgehalten werden müssen.

Das Wassertankprojekt

Nachdem wir bei unserem Aufenthalt im August 2014 schon einmal mit den Folgen der Dürre im Land konfrontiert worden waren, war es uns gelungen, über das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit für jeden unserer einhundert NCPs einen 5000-Liter-Wassertank finanziert zu bekommen (drei Viertel trug das Ministerium, ein Viertel mit Unterstützung vieler Spender wir), d.h. einhundert Tanks, die 2015 installiert wurden und bei den unregelmäßig im Herbst auftretenden Starkregen jetzt zumindest einen Grundbestand an Wasser für die NCPs (Hygiene, Kochen, Bewässerung der kleinen Gemüsegärten) bereithalten. Auf dieser Reise konnten wir uns nun von der fachgerechten Installation der Tanks an verschiedenen NCPs überzeugen – und gegen Ende des Aufenthalts gab es sogar so viel Regen, dass wir hoffen, sie sind auch zumindest zum Teil bereits gefüllt!

Mathunsini mit Tanks

Das Thema Bildung – Fortbildung der Ehrenamtlichen

Schon im vergangenen Jahr war es uns durch eine große Spende möglich, für zweihundert der 700 Frauen, die täglich ehrenamtlich die Kinder an den NCPs betreuen, eine Fortbildung zu frühpädagogischen Themen durch drei Referentinnen des Bildungsministeriums Swasiland anzubieten: damals für eine ganze Woche, in diesem Jahr nun als Refresher Course für zwei Tage. Dazu wurden die Frauen aus der gesamten Projektregion in ihren Dörfern per Sammeltaxi abgeholt und zum Farmers` Training Center in Nhlangano gebracht, wo sie auch übernachtet haben und verpflegt wurden – für diese Frauen ist das natürlich auch eine Belohnung für ihr großes tägliches Engagement, die sie motiviert, sich weiter einzusetzen. Am Wichtigsten ist für sie wahrscheinlich – das soll jetzt kein Zynismus sein! -, dass sie während dieser Tage regelmäßig verpflegt werden und es sogar Teepausen gibt. Wir haben aber auch beobachtet, wie einige Frauen während des Unterrichts fast non-stop alles mitgeschrieben haben, was die Referentinnen sehr dicht gepackt an Wissen über frühkindliche Entwicklung, vor allem psychische und Sprachentwicklung, und den daraus resultierenden Umgang mit den Kindern referiert haben. Es wurden Lieder, Reime und Kreisspiele vermittelt – außerdem ging es um die Arbeit mit Materialien wie Puzzle, etc., ein Thema, das leider sehr abstrakt bleiben musste, weil es all diese Materialen an den NCPs (Mangel an Mitteln!) nicht gibt. Im Rahmen dieser Fortbildung bekamen die Frauen allerdings Buntstifte und Papier für ihre NCPs. Aber wie lange wird das reichen? Wir wollen versuchen, in den nächsten Monaten einen Grundbestand an Bildungsspielzeug zu beschaffen; auch hierzu ist unser Managing Director Mr. Zulu inzwischen bereits in Kontakt mit verschiedenen Stellen, (auch Tischlern, z.B.!), um Kostenvoranschläge zu erhalten.

Fortbildung Caregivers Kreisspiel

BOOKCRAZY

Im Vorfeld unserer Reise hatten wir von der Internet-Seite African Storybook zwei Bilderbuchanthologien auf siSwati zusammengestellt und in Südafrika in ausreichender Zahl drucken lassen, damit an jedem NCP in der Muttersprache der Kinder vorgelesen werden kann – es gibt im ganzen Land nämlich bisher kein einziges Kinder- oder Bilderbuch in der Sprache der Kinder. Auch für die Ehrenamtlichen, die ja selbst keinerlei Erfahrung mit Büchern haben und vor allem auch in ihrer Kindheit nicht mit Bilderbüchern in Kontakt gekommen sind, war das vollkommenes Neuland. Daher hat eine der Referentinnen des Bildungsminsteriums von Swasiland mit ihnen am Beispiel eines der Bilderbücher in der Anthologie durchgespielt, wie man mit Kindern Bilderbücher anguckt, mit den anwesenden Ehrenamtlichen in der Rolle der Kinder. Wir hoffen nun, dass die Bücher an den NCPs auch rege genutzt werden! Und sollten wir die Mittel dafür aufbringen können, wollen wir versuchen, jedem Kind zur Einschulung eins dieser Bücher zu schenken. Für diese Kinder, die kein Spielzeug besitzen, in deren Hütten es keinen Strom (und also auch kein Fernsehen, keinen PC…) und kein Wasser gibt, könnte so ein kleines Buch einen bedeutsamen, großen Schatz bedeuten, sie früh zum Lesen animieren und ihrem Bildungsweg einen wirklichen Anstoß geben.

Fortbilding Caregivers

 

Das medizinische Projekt – MobiDiK

Da der Schwerpunkt unserer Reise in diesem Jahr auf der Verbesserung der vorschulischen Bildung für die Kinder an den NCPs lag, (weil sie in Swasiland z.B. schon in der ersten Klasse in sämtlichen Fächern Unterricht auf Englisch erhalten, einer Sprache, der sie vorher in der Familie nicht begegnet sind), haben wir unser medizinisches Team nur an einen NCP begleitet. Obwohl wir in den vergangenen Jahren immer beim Besuch von MobiDiK an mehreren NCPs dabei waren, waren wir in diesem Jahr überwältigt von der unglaublichen Zahl der Menschen, die sich im Innenraum und vor dem Gebäude drängten: Deutlich über hundert Kinder und sicher noch einmal annährend so viele Erwachsene. Die Krankenschwestern waren also gut ausgelastet. Gleich zu Beginn hat wieder die HIV-Testerin ihren Vortrag darüber gehalten, warum sich jeder Mensch testen lassen sollte und dass auch positiv mit Medikamenten das Leben weitergehen könnte wie vorher – während es ungetestet schnell zu Ende sein könnte. Wir waren froh zu sehen, dass sich wieder viele Menschen in einer Warteschlange auf die Kinderstühle neben der Tür zum Lagerraum gesetzt haben, in dem die Testungen hinter verschlossener Tür stattfinden. Dieses Projekt hat in den vergangenen Jahren ganz sicher schon unglaublich viel bewirken können. Etwa zehn Prozent der Getesteten sind im Schnitt positiv und können von da an vorsichtig sein und mit Medikamenten versorgt werden. – Parallel wurden beim MobiDiK-Besuch Kinder geimpft, gewogen, gemessen, bekamen Vitamintabletten; Erwachsene kamen mit ihren Beschwerden, es wurde Blutdruck gemessen, es ging um Diabetes (zusammen mit Bluthochdruck erstaunlicherweise ein großes Problem bei älteren Menschen in Swasiland; und auch weil sie es sind, die sich um die verwaisten Kinder kümmern, liegen sie uns ganz besonders am Herzen.) Immer wieder – auch bei der Fortbildung, z.B. – äußerten die Ehrenamtlichen den Wunsch, dass das MobiDiK-Team häufiger an die NCPs kommen sollte: Natürlich schon wieder eine Budgetfrage.

MobiDiK kommt

Patenschaften

An zwei Neighbourhood Carepoints konnten wir in diesem Jahr wieder Patenschafts-Urkunden übergeben und aufhängen – für die Kinder und ihre Betreuerinnen immer eine wichtige Zeremonie, weil sie wissen: Über dieses Geld können wir nun, unabhängig davon, was das Projekt sonst für uns und alle NCPs gleichermaßen leistet, ganz allein entscheiden. Beide NCPs waren noch nicht entschieden, was angeschafft werden sollte. – Im vergangenen Jahr wollten mehrere NCPs sich für das Patenschafts-Geld eine Stromleitung legen lassen; dieses Projekt ist ins Stocken geraten, weil die Regierung von Swasiland die versprochenen Leitungen ins Hinterland noch nicht verlegt hat. Während wir hier mit unserem Optimismus aufgrund vieler vorausgegangener Erfahrungen eher vorsichtig sind, scheinen die Menschen im Land aber tatsächlich zu glauben, dass es bald passieren wird. Wir hoffen also für sie.

Einkommen schaffende Maßnahmen

Für die Ehrenamtlichen an den NCPs bedeutet es viel, wenn ihnen die Möglichkeit vermittelt wird, selbst Geld zu verdienen: Dazu sind in den vergangenen Jahren an den NCPs durch die Unterstützung vieler verschiedener Spender ganz unterschiedliche sog. income generating measures installiert worden: Es gibt durch die Anschaffung von Nähmaschinen ein Nähprojekt (genäht werden z.B. Schuluniformen), Hühnerzucht, Milchproduktion, Herstellung von Salben, traditionellen Flechtarbeiten, etc. Im Gespräch mit einem Vertreter des Rotary Club Mbabane haben wir erfahren, dass durch die Unterstützung verschiedener europäischer Rotary Clubs und von Rotary International demnächst vermutlich an weiteren achtzig (!) NCPs Projekte aufgebaut werden können – die dann für die Frauen dort ein Maß an finanzieller Unabhängigkeit schaffen. Ohne diese Unterstützung würde ihnen das Startkapital und oft auch die Qualifikation für die Herstellung und Vermarktung ihrer Produkte, die Buchführung, usw. fehlen. Wir freuen darum uns sehr!

Family Homes

Durch die große Spende eines deutschen Spenders explizit für diesen Zweck war es im vergangenen Jahr wieder möglich, für sechs Waisenfamilien kleine, feste Einraumhäuser aus Stein mit Wellblechdach zu bauen. Drei dieser Familien haben wir besucht, und es sind immer diese Begegnungen an Orten in den Bergen, die man mit dem Auto oft nicht erreichen kann, die mich am meisten erschüttern. Denn an den NCPs begegnen wir den Kindern ja nicht in ihrem täglichen Elend, sondern versorgt und betreut – wenn auch auf einem für uns unvorstellbar niedrigen Niveau. Aber in den sogenannten Homesteads erleben wir dann, wie unbeschreiblich arm das Leben der Menschen tatsächlich ist. Wir haben eine Großmutter besucht, die ganz allein von einer Altersrente von ca. 12 Euro im Monat ihre sechs verwaisten Enkel großzieht und die uns vom Hunger der Kinder erzählt hat. Einer der Novemberstürme des letzten Jahres hatte ihre traditionell gebaute Hütte einfach weggerissen, die neue war nun endlich im Bau. – Eine einbeinige Großmutter lebte mit ihrer ca. sechzehnjährigen verwaisten Enkeltochter und deren zehn Monate altem Baby zusammen – die Hütte war bereits fertig gestellt, im Bergland leider mit Stufen zur Eingangstür, die mit Krücken für die alte Frau nur schwer zu bewältigen waren. – Die letzte, ebenfalls schon fertig gestellte Hütte gehörte einem Großelternpaar, das ebenfalls sechs Enkel aufzieht: Der Großvater ist durch Diabetes erblindet und kann zudem nicht mehr gehen, neben den Kindern hat die Großmutter nun auch ihn noch zu versorgen. Allen drei Familien haben wir auch Lebensmittel, grüne Seife, Kerzen und Streichhölzer für einen Monat vorbeigebracht. – Manchmal ist das Elend schwer mitanzusehen und zu ertragen. Wir hoffen darum, auch mit diesem Projekt weitermachen zu können – es liegen schon wieder Anfragen von drei Waisenfamilien vor.

Gogo mit sechs Waisen

Veränderungen an den Neighbourhood Carepoints

Ursprünglich waren die Neighbourhood Carepoints entstanden, um ausschließlich Kinder zu betreuen, die durch Aids ihre Eltern verloren hatten. Während die Neuinfektionsrate in Swasiland vor allem unter jungen Menschen kaum sinkt, bleiben Positive inzwischen aber, auch durch die an den NCPs vorgenommenen Testungen  und die darauf folgende Medikation, länger am Leben, nicht mehr so viele Kinder wie früher verlieren ihre Eltern schon im Kleinkindalter. Schon bei den Besuchen der letzten Jahre hatten wir bemerkt, dass immer mehr Kinder an die NCPs kamen, die zwar nicht ihre Eltern verloren hatten, deren Mütter sie aber schickten, damit sie wenigstens eine Mahlzeit am Tag bekommen sollten – Arbeitslosigkeit und Hunger sind in der Region Shiselweni gigantisch. Sollten diese Kinder, die zu Hause hätten hungern müssen, weggeschickt werden? Sie durften bleiben. Es heißt daher jetzt auch, die Neighbourhood Carepoints versorgen OVC, orphans and vulnerable children, wobei „vulnerable“ in seiner strengen offiziellen Definition eigentlich bedeutet, dass im vergangenen Jahr im Haushalt des Kindes mindestens ein Mensch – und dann meistens ein Elternteil – gestorben sein muss. Aber auch Armut und Hunger genügten in den letzten Jahren als Aufnahmekriterium. – Inzwischen gibt es aber einen weiteren Grund, warum kleine Kinder an die NCPs kommen: Der Schulunterricht beginnt in Swasiland schon in der ersten Klasse auf Englisch. In der Hauptstadtregion und in Familien, die sich das finanziell leisten können, besuchen die Kinder daher eine private Vorschule, in der sie vorbereitet werden, um überhaupt eine Chance zu haben. So etwas können sich die Menschen in unserem Projektgebiet nicht leisten, von Anfang an haben die Ehrenamtlichen daher versucht, einen ganz einfachen Vorschulunterricht anzubieten. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass Kinder, die von den LISTEMBA kamen, im ersten Schuljahr gut abschnitten. Nachdem die Ehrenamtlichen nun auch noch eine Fortbildung durch Referentinnen des Bildungsministeriums erhalten haben und die Kinder sogar Abschlusszertifikate bekommen, schicken immer mehr arme Familien, die sich keine Vorschule leisten können, ihre Kinder auch an die NCPs, um ihnen einen Einstieg in einen erfolgreicheren Bildungsweg zu ermöglichen. Sollen wir sie wegschicken, wenn wir doch fest davon überzeugt sind, dass Bildung für diese Kinder die einzige Chance ist? Auch sie dürfen bleiben. Und wir freuen uns einfach, dass sich dieses Projekt so entwickelt hat.

 

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