Bericht über den Aufenthalt in Swasiland 2015

Auf unserer Swasiland-Reise im April und Mai 2015 ging es, wie immer, um verschiedene Arbeitsbereiche. Ausgelassen haben wir diesmal das Thema medizinische Versorgung, da unsere medizinische Leiterin, Frau Dr. Budach, im Februar gerade in Swasiland gewesen war. Nur ein Besuch bei Ärzte ohne Grenzen in Nhlangano hat wie immer stattgefunden.

  1. Patenschaftsprojekt: Mehrere Schulen, Kitas und Privatpersonen in Deutschland haben inzwischen Patenschaften für NCPs (Neighbourhood Carepoints) übernommen und überweisen jeweils jährlich 300 €. Wir haben daher zunächst drei dieser NCPs besucht, um ihren Paten in Deutschland von ihnen berichten zu können. Die NCPs hatten sich von dem Patengeld Decken, eine Matratze für die Kinder und einen Putzeimer samt Wischmopp gewünscht. Die Kinder haben für uns gesungen, wir haben uns mit den Caregivers ausgetauscht und beim Abschied haben uns alle gebeten, wir möchten doch bitte bei der nächsten Reise wiederkommen. Vermutlich ist unser Besuch tatsächlich ein Highlight in ihrem sonst sehr einförmigen Alltag. Inzwischen haben wir übrigens erfahren, dass zwei NCPs von dem Geld, das sie von ihren Paten in Deutschland erhalten, eine Stromleitung legen wollen. Damit werden an den NCPs plötzlich ganz neue Möglichkeiten eröffnet!
  2. NCP-Bau: Im August 2014 hatten wir einen NCP besucht, der seit vielen Jahren im Freien arbeitet, „under trees“. Aus Spendengeldern konnten wir ihm nun den Bau eines Gebäudes finanzieren, das tatsächlich bei unserem Besuch im Mai im Rohbau schon fertig gestellt war. Da die Stürme in Swasiland inzwischen so heftig sind, dass häufig die Dächer der NCPs abgedeckt werden (das Land spürt den Klimawandel inzwischen enorm heftig!), ist dieses Gebäude ein bisschen anders konstruiert als die NCPs bisher.
  3. Der Zamani-NCP, dessen Bau wir im August 2014 beobachtet hatten, hat seine Einweihung gefeiert: Eine eindrucksvolle Feier vor dem neuen Gebäude, um das herum schon ein großer, sehr gepflegter Gemüsegarten und viele Blumenbeete angelegt worden waren. Es gab Reden des Chief, verschiedener Politiker und von Mr. Zulu, dem Managing Director des Projekts, es wurde gebetet und gesungen, und die Kinder haben etwas vorgeführt. Zum Abschluss gab es im NCP für alle eine Mahlzeit. Süßigkeiten wurden nur an die Erwachsenen verteilt. Gerade weil der NCP ja für die Kinder gebaut wurde, war das für uns doch eine etwas merkwürdige Erfahrung.
  4. Wir haben die zwei Hütten angesehen, deren Bau wir im August beschlossen hatten: Für zwei Waisenfamilien, einmal für die elfjährige Gcebile, die mit ihren beiden kleinen Cousins allein lebt und sie aufzieht, einmal für ein verwaistes Brüderpaar (13 und 16). Gcebiles Haus steht schon länger, vom Haus der beiden Jungen stehen erst die Grundmauern.
  5. Außerdem haben wir unser Arbeitsfeld erweitert und uns verstärkt auch um den Bereich Bildung / Lesen gekümmert. Schon im März gab es ja eine „Early Childhood Care and Developement“-Fortbildung für die Caregivers, praktisch so etwas wie eine einwöchige Einführung in die pädagogische Arbeit mit jüngeren Kindern. Die Caregivers sind ja alles Ehrenamtliche aus den Dörfern, die ohne Geld arbeiten, aber auch keinerlei Ausbildung haben.
  6. Zu dieser Fortbildung mit Unterstützung durch das Bildungsministerium Swasiland gehörte u.a. auch das Vorlesen oder Erzählen von Geschichten – wobei deutlich wurde, dass es in Swasiland nicht nur keine Kinderbücher gibt, sondern auch keine Tradition von Geschichten für Kinder. Wenn früher Geschichten für Erwachsene erzählt wurden, konnten die Kinder einfach mit zuhören. Was gibt es also auf diesem Gebiet für Kinder? – Es gibt in Swasiland 13 öffentliche Büchereien, zwei davon haben wir in Manzini und Nhlangano besucht. Die Regale sind halb leer, und es gibt überhaupt keine Bücher in der Landessprache siSwati. Auch die Bücher für Kinder, die sich dort finden, sind auf Englisch, das die Kinder natürlich nicht besser beherrschen als Kinder bei uns. Die Bücher werden nämlich nicht von der Bücherei angeschafft, sondern vom amerikanischen Hilfsprojekt „Books for Africa“ gespendet – es sind bereits gelesene Bücher, z.T. in einem desolaten Zustand. Nach Aussagen der Bibliothekare kommen Menschen aber ohnehin nur in die Bücherei, um zu lernen. Lesen zur Unterhaltung ist praktisch unbekannt. (Dabei muss man bedenken, dass es für die Menschen dort auch kein Fernsehen, Internet, Kino, etc. gibt. Lesen könnte also eine großartige Freizeitbeschäftigung sein, für die man keinen Strom braucht.) – Auch die Schulbibliothek, die wir angesehen haben, war praktisch leer. – Ich bin daher im Kontakt mit der südafrikanischen Leseförder-Organisation PRAESA, die in Südafrika Geschichten in den Sprachen der Kinder – u.a. auch siSwati – ins Netz stellt oder zum Lesen auf Handys (die weit verbreitet sind), so dass sie vor Ort heruntergeladen und vorgelesen werden können. Für viele Entwicklungsländer ist das Lesen auf mobilen Endgeräten plötzlich eine ganz neue Möglichkeit der Unterhaltung.
  7. Außerdem ging es um die Vorbereitung des Wasserprojektes: Im August 2014 hatten wir erlebt, dass viele Kinder an einer Durchfallerkrankung aufgrund der Trockenzeit gestorben waren: Die nahe gelegenen Bäche waren ausgetrocknet und das Wasser musste aus den (vollkommen verschmutzten) Flüssen geholt werden. Wir haben daraufhin Kontakt zum Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgenommen und einen Antrag auf einen 5000–Liter-Wassertank für jeden unserer NCPs gestellt: Das sind dann also insgesamt 100 Wassertanks. Damit stünde Wasser zum Kochen, Hände waschen, Trinken zur Verfügung. Da wir 25% der Kosten selbst tragen mussten, waren wir unendlich dankbar dafür, dass viele Spender uns unterstützt haben! Wir hoffen, dass wir so die Sterberate durch Durchfallerkrankungen bei unseren 5 500 Kindern deutlich senken können. Außerdem können auch die kleinen Gemüsegärten bewässert werden, die viele NCPs anzulegen versuchen, damit es auch Vitamine für die Kinder gibt und nicht nur Maisbrei; und die sonst in der Trockenzeit nicht mehr zu bewässern sind. – Inzwischen werden die Wassertanks an den NCPs aufgestellt, und bei unserem nächsten Besuch werden wir sie ansehen können.
  8. Wie im Jahr 2014 auch haben wir uns um die Winterversorgung der Kinder gekümmert: Der Winter in Swasiland (ca. Mai bis August) ist vor allem in den Nächten sehr kalt (unter 10°, es kann auf den Bergen sogar Schnee geben), viele Kinder haben aber keinerlei warme Kleidung oder Decken für die Nacht auf den Matten in ihren Hütten. Jedes Jahr schaffen wir daher warme Jacken und Decken für ca. 400 Kinder an – bei zurzeit 5 500 Kindern ist das natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Film über eine von LISTEMBA Swasiland betreute Waisenfamilie

Hier ein Film der Kindernachrichtensendung logo! über eine typische von LISTEMBA Swasiland betreute Waisenfamilie:

Film auf der Website von www.tivi.de ansehen

(Dieser Film ist sichtbar bis zum 24.07.2016.)

Bericht über den Aufenthalt in Swasiland August 2014

von Gerhard Grotz

Nach unserem Besuch im Februar 2014 waren wir erneut im August in Swasiland, um uns über die Situation und die Entwicklung von LITSEMBA Medical Outreach zu informieren und die nötigen Schritte für die nächsten Monate zu beraten und einzuleiten (unser Team war dieses Mal: Dr. Magdalene Budach, Kirsten Boie und Gerhard Grotz).
Erneut waren unsere Eindrücke und Erfahrungen widersprüchlich und sehr aufwühlend und bewegend: einerseits unzählige Beispiele für die große Not und unvorstellbare Armut, die uns immer wieder begegnen, andererseits die ermutigenden Fälle von freiwilligem Engagement und großer Hilfsbereitschaft unter den „Dorfbewohnern“ sowie die Motivation und Kompetenz des LITSEMBA-Teams vor Ort. Berührend war die Dankbarkeit für die Spenden und Unterstützungsmaßnahmen, die uns immer gezeigt wurden – und bei uns die Besorgnis, ob wir in den nächsten Monaten so viele Spenden sammeln können, um auf den zahlreich vorhandenen „Baustellen“ helfen zu können.
Ein Lichtblick war, dass wir einen ausführlichen Erfahrungsaustausch mit der regionalen Koordinatorin von „Ärzte ohne Grenzen“ hatten, die den Einsatz und die Kompetenzen unseres LITSEMBA-Teams sehr lobte und als Zeichen der Anerkennung unserer Arbeit uns ab Oktober 2014 ein Krankenfahrzeug übergeben wird. In Absprache mit „Ärzte ohne Grenzen“ werden wir weiter an den von uns betreuten NCPs HIV-Testungen durchführen – übrigens konnten wir erfreut beobachten, dass immer mehr Frauen und vor allem Männer zu den Testungen erscheinen, obwohl  (wie wir an einigen Beispielen erfahren konnten) gerade in ländlichen Gebieten die Angst und die Scham, sich angesteckt zu haben, sehr groß ist.
Somit verfügen wir über zwei Fahrzeuge und können daher noch mehr NCPs medizinisch betreuen. Wir hoffen, dass ab 2015 ein drittes Krankenfahrzeug hinzukommen wird; über den Kauf sind wir mit Rotarier-Clubs im Gespräch und mit Vertretern des Rotary-Clubs Mbabane in Swasiland hatten wir deswegen zwei Besprechungen. Es wäre also in Zukunft möglich, fast alle NCPs regelmäßig(er) zu versorgen. Mehrfach haben wir unser LITSEMBA-Team im Einsatz gesehen und waren sehr beeindruckt, wie freundlich, kompetent, gut koordiniert und ruhig (trotz langer Schlangen und ziemlichem Lärm) sie die Patienten untersuchten, impften, mit Medikamenten versorgten und berieten. Dabei nehmen auch immer mehr ältere Menschen unser Angebot wahr, da die Wege zur nächsten Krankenstation oft zu lang und zu beschwerlich sind.
Nach jedem NCP-Besuch wird von unserem Team ein Report verfasst und am Monatsende ausgewertet und nach Deutschland geschickt – und diese Reports wurden im Laufe der letzten Monate immer umfangreicher, auch weil die Zahl der Patienten zugenommen hat. Zur Unterstützung unseres Teams werden wir Krankenliegen und verschiedene medizinische Hilfsmittel anschaffen. Zudem werden demnächst die meisten NCPs mit Erste-Hilfe-Sets ausgestattet und die dort ehrenamtlich arbeitenden Caregivers werden in einem Trainingskurs in allen Fragen der Ersten Hilfe ausgebildet.
Erfreulich war, dass wir 4 Patenschaften zwischen NCPs und deutschen Partnern (einem Kindergarten, einer Grundschule, einer 7. Gymnasialklasse, einer Buchhandlung) begründen konnten – die Freude darüber war bei der feierlichen Übergabe der Zertifikate bei den NCP-Kindern und ihren Betreuerinnen und Köchinnen sehr groß. Die deutschen Partner haben sich verpflichtet, mindestens drei Jahre lang mindestens 300,00€ jährlich für ihren Partner-NCP zu überweisen; von diesem Geld kann der NCP dann Anschaffungen tätigen, die über die normale Unterstützung hinausgehen. (Die Wünsche der NCPs bisher: Wolldecken, Löffel, Wischmopp, Eimer, Papier für die Kinder.) Wir sind optimistisch (und wünschen uns sehr!), dass in nächster Zukunft noch weitere Patenschaften vermittelt werden können.
Ein weiterer Lichtblick war der Besuch eines NCP im Bau. Tatkräftig und „fachmännisch“ mit Wasserwaage und Zollstock wurde an der Fertigstellung gearbeitet – von Männern, Frauen und Jugendlichen der Gemeinde unter Anleitung eines Maurermeisters. Zufälligerweise fuhren wir an den Folgetagen ungeplant mehrfach an diesem NCP vorbei und konnten feststellen, dass auch in diesen „unbeobachteten“ Situationen viele Personen mit dem Bau beschäftigt waren. Andererseits war dann bedrückend am folgenden Tag der Besuch bei einem noch nicht gebauten NCP (aufgrund fehlender Spenden), der seit langer Zeit „unter Bäumen“ stattfinden muss (nur eine Toilette konnte bisher gebaut werden). Trotzdem betreuen 5 Frauen ehrenamtlich die Kinder und kochen für sie jeden Tag (den Mais und das Gemüse bringen sie aus ihrem eigenen Haushalt mit). Die Hoffnungen sind groß, dass genügend Spenden zusammenkommen, damit endlich auch an dieser Stelle ein NCP gebaut werden kann.
Insgesamt ist die Nahrungssituation in Swasiland im Moment noch nicht schlecht, aber niemand weiß, wie sich die Situation ab Oktober entwickelt, weil dann die Unterstützung durch das World Food Program ausläuft, die Ernte dieses Jahr mager ausgefallen ist und die wirtschaftliche Situation (z.B. Inflation, Arbeitslosigkeit) sich rasant verschlechtert. In vielen NCPs sind zwar inzwischen kleine Gärten angelegt, die sorgfältig gepflegt werden, obwohl das Wasser seit vier Monaten in Flaschen und Kanistern aus den z.T. weit abgelegenen Flüssen herangeschafft werden muss; auch viele Hühner sind angeschafft worden, aber in Notsituationen ist dies nur der bekannte Tropfen auf den heißen Stein. Und die Wassernot ist gerade im Moment groß! Seit vier Monaten hat es keinmal geregnet. Alle hoffen seit langer Zeit auf Niederschlag, damit die Wassertanks der NCPs wieder mit Regenwasser gefüllt sind.
Und noch eine neue Erfahrung haben wir gemacht: von Juni bis August ist Winter – und nachts wird es richtig kalt (in den höher gelegenen Regionen bis zum Gefrierpunkt). Und eine Heizung gibt es natürlich in den Hütten und NCPs nicht. Wir haben daher schon im Juni in vielen NCPs im Rahmen einer „Winterhilfe“ Decken und warme Kleidungsstücke einkaufen und verteilen lassen – und konnten jetzt am eigenen Leibe spüren, dass diese auch im August noch dringend gebraucht werden. Diese Hilfe muss im nächsten Winter (wenn genügend Spenden fließen) fortgesetzt werden, weil wir natürlich nicht alle NCPs auf einen Schlag versorgen konnten.
Und dann noch das Traurigste: wir besuchten zwei Waisen-Familien in ihren völlig baufälligen Hütten – die eine Familie bestand aus einem 11-jährigen Mädchen (Haushaltsvorstand) und ihren 2 jüngeren Neffen, der Rest der Familie war verstorben; die zweite Familie umfasste 2 männliche Jugendliche, auch deren Angehörige waren tot, das Grab der Mutter drei Schritte vor dem Hütteneingang war noch ganz frisch. Man kann dieses Elend nicht beschreiben – wenigstens konnten wir in beiden Fällen größere Lebensmittelvorräte verschenken, aber auch dies hilft ja nicht wirklich weiter. Beide Waisenfamilien brauchen dringend eine neue Hütte. – Wir hoffen, dass wir in solchen Fällen auch in Zukunft schnell helfen können – so wie im Falle einer Witwe mit 2 Kindern, die wir am Ende unseres Aufenthalts besucht haben und deren Haus (für dessen Bau wir nach unserer letzten Reise das Geld zur Verfügung gestellt haben) jetzt kurz vor der Fertigstellung steht. Die Witwe konnte jetzt sogar damit beginnen, eine kleine Hühnerzucht aufzubauen.

Das Loch im Eimer flicken

Reisebericht von Kirsten Boie, August 2014

Für mich hat diese Reise einmal mehr und wieder sehr konkret die Bestätigung dafür gebracht, dass wir mit dem derzeitigen Konzept von LITSEMBA Medical Outreach Swasiland auf dem richtigen Weg sind – und warum.
Schon am zweiten Tag dieser Reise hatten wir eine traurige Begegnung: Wir haben mit dem medizinischen Team eine sehr junge Mutter dreier Kinder in ihrer Hütte besucht. Seit drei Jahren weiß sie, dass sie HIV positiv ist – aber vor ihrer Familie, vor allem vor ihrer Mutter, hatte sie das bisher verheimlicht. Auch in Swasiland bedeutet HIV noch ein großes Stigma. Die Frau hatte Fieber, starke Schmerzen, krümmte sich – aber eine genaue Diagnose konnte unsere Ärztin unter den eingeschränkten Bedingungen in der Hütte nicht stellen. Und dass es der Frau sehr, sehr schlecht ging, konnte jeder Laie erkennen. Hatte sie ihre Medikamente etwa nicht regelmäßig genommen? Wie hätte sie das wohl tun sollen, wenn niemand wissen durfte, dass sie infiziert war, und die Medikamente müssen einmal im Monat viele Kilometer weit entfernt abgeholt werden? Wie hätte sie diese ständigen Abwesenheiten erklären sollen?
Wir haben uns mit LITSEMBA Medical Outreach Swasiland in der Anfangsphase auf die medizinische Versorgung der von AIDS betroffenen Kinder an den NCPs konzentriert. Ausgangspunkt war: Zunächst müssen Ernährung und Betreuung der Kinder sichergestellt sein; danach aber muss sich auch irgendwer um ihre Gesundheit kümmern, zumal die Clinics (Krankenstationen ohne Ärzte, nur mit Krankenschwestern) oft so weit entfernt sind, dass die Kinder sie niemals erreichen könnten. Frau Dr. Budach, unsere ärztliche Leiterin, hat schon früh darauf gedrängt, dass es nicht nur um Versorgung von Wunden, um Erkältungen und Kinderkrankheiten gehen sollte: Wie in Deutschland sollte regelmäßig das Gewicht der Kinder kontrolliert werden, sollte Prävention im Vordergrund stehen: Die Kinder an unseren NCPs bekommen daher alle relevanten Impfungen, sie bekommen Vitamingaben und Entwurmungstabletten, und unser vorrangiges Ziel ist es, sie gar nicht erst krank werden zu lassen.
Aber mit den Kindern kamen auch die Erwachsenen zu den Sprechstunden in den NCPs, vor allem die Alten: Auch für sie sind die Wege zu den Clinics zu weit, auch sie haben Beschwerden: Und wenn schon ein Ambulanzteam vor Ort ist, warum sollte es sich nicht auch um sie kümmern? Das war der zweite Schritt: Mit dem Gesundheitsministerium wurde ein Abkommen unterzeichnet, das es unseren Krankenschwestern gestattet, nun auch die Erwachsenen zu behandeln. Der Ansturm ist gewaltig. Und es sind schließlich genau diese verbliebenen Erwachsenen, die sich um die Kinder kümmern müssen. Auch ihre Gesundheit ist uns wichtig.
Dann, vor etwa eineinhalb Jahren, kam der dritte Schritt. Durch die Beobachtungen an den NCPs, die Gespräche mit den Menschen, vor allem aber durch den regelmäßigen Austausch mit MSF („Ärzte ohne Grenzen“) in der Distrikt-Hauptstadt Nhlangano wurde immer deutlicher, dass alle medizinische Betreuung Flickwerk bleiben muss, solange wir uns nicht in dem uns möglichen Rahmen auch des drängendsten Problems in Swasiland annehmen: Der Bekämpfung von HIV. Und unsere Bedingungen sind dafür optimal. Wir haben die Menschen an den NCPs bereits versammelt, unser medizinisches Team besucht sie ohnehin regelmäßig und sie kommen in Scharen: Nirgendwo sonst ist es so leicht möglich, viele Menschen auf einmal auf HIV zu testen, vor allem MSF („Ärzte ohne Grenzen“) ermunterte uns darum immer wieder, uns hier zu engagieren – denn in die weit entlegenen Clinics gehen die Menschen zum Testen erst, wenn sie erste Krankheitssymptome spüren. Die einheimische Organisation NATTIC stellte eine (großartige!) qualifizierte Testerin und Beraterin, die mit unserem Team zu den Sprechstunden fährt, das Gesundheitsministerium unterschrieb ein Abkommen – und seitdem wird an unseren NCPs regelmäßig bei jedem Besuch des medizinischen Teams auf HIV getestet. Die positiv getesteten Menschen werden dann an eine Clinic weiter verwiesen, wo zusätzliche Tests und Laboruntersuchungen durchgeführt werden und mit der Medikation begonnen werden kann.  Wir hoffen allerdings sehr, dass wir demnächst auch die Medikamente gegen HIV an den NCPs ausgeben können, wenn uns nämlich „Ärzte ohne Grenzen“ (wie auf dieser Reise versprochen) ein weiteres Ambulanzfahrzeug übergibt, für das wir nur das Team bereitstellen müssen. Denn genau wie wir beobachtet „Ärzte ohne Grenzen“, dass auch HIV infizierte Menschen häufig nicht den einmal im Monat nötigen weiten Weg zu einer Clinic auf sich nehmen, um regelmäßig ihre Medikamente zu bekommen. (Man denke an die dreifache Mutter in ihrer Hütte.) Darum ist es ein gemeinsames Interesse, dass diese Menschen ihre Medikamente gleich bei uns an den NCPs in ihrer direkten Nachbarschaft bekommen.
Von der Ausgangsüberlegung, nur die an den NCPs betreuten Kinder medizinisch zu versorgen, bis zum jetzigen Konzept mit dem Schwerpunkt auf AIDS-Prävention (und hoffentlich bald: Medikation) für Kinder wie Erwachsene war es ein weiter Weg in rasend kurzer Zeit. Aber ein logischer Weg: Natürlich müssen die Kinder versorgt werden mit Nahrung und Kleidung und Betreuung – auch diesen Feldern wird weiterhin unsere Arbeit gelten (vgl. Bericht von Gerhard Grotz). Aber wer schüttet immerzu Wasser in einen Eimer mit einem Loch? Wer versucht nicht zunächst das Loch zu flicken? Am Allerwichtigsten in Swasiland ist es, die weitere Ausbreitung von HIV, häufig kombiniert mit TB, zu stoppen, sonst wird es immer mehr AIDS-Waisen geben, die an immer mehr NCPs versorgt werden müssen. Die HIV-Infektionen sind das Loch im Eimer. Dieses Loch zu flicken: Daran arbeiten wir mit, in intensiver Zusammenarbeit mit NATTIC und „Ärzte ohne Grenzen“, und dafür bitten wir um Unterstützung.
Warum es so wichtig ist, dass diese Arbeit durch einheimisches Personal und nicht durch fremde Ärzte geleistet wird, haben wir auf dieser Reise wieder eindrucksvoll erlebt. Jeder Besuch unseres medizinischen Teams an einem NCP beginnt mit einem Gebet auf siSwati, einem gemeinsamen (Kirchen-)Lied und einer flammenden Ansprache unserer medizinischen Koordinatorin Agnes Dlamini. Mit großer Autorität hat sie dieses Mal erklärt, wie die Kinder vor der zur Zeit grassierenden Rotavirus-Epidemie geschützt werden können, an der in den letzten Wochen immer mehr Kleinkinder gestorben sind. Danach aber geht es bei jedem Besuch um HIV und darum, dass jeder der Anwesenden sich testen lassen sollte. „Ich sage ihnen: Seid ehrlich – ihr geht doch alle zum Sangoma (Geistheiler), damit er die Knochen wirft und euch sagt, ob ihr die Krankheit habt oder nicht! Warum lasst ihr uns nicht für euch die Knochen werfen, auf unsere Weise? Dann kriegt ihr auch gleich die Medikamente, die euch wirklich helfen, damit ihr noch ein langes Leben haben könnt, selbst wenn das Ergebnis zeigt, dass ihr euch angesteckt habt. Unsere Knochen sind besser.“
Und Cynthia, die leidenschaftliche und energische Testerin und Beraterin, erzählt: „Mein Mann ist Pastor, und genau wie er sage ich den Menschen: „Soso, ihr glaubt, dass es bei HIV und AIDS genügt fromm zu sein und zu beten? Ihr sagt, ich bin Christ, ich glaube daran, dass Gott alles kann, und schließlich kann Gott ja Wunder tun? Dann sage ich euch: Ja, Gott kann Wunder tun! Aber wenn er uns erst mal Medikamente gegeben hat, dann ist das das Wunder, dann tut er keine weiteren Wunder mehr. Damit ist dann Schluss. Dann will er nämlich, dass wir uns selber helfen. Das will Gott, und das tut jetzt mal!“
Auch in Swasiland lassen die Menschen sich nicht gern testen. An unseren NCPs steigt ihre Zahl trotzdem kontinuierlich. Das haben wir ganz sicher auch den sehr afrikanischen Erklärungen von Agnes und Cynthia zu verdanken.